DAS LEBEN UND WERK VON
Dichterin, Autorin, Zeitzeugin
1919 – 2012

1930er

Nora Pfeffer kommt am 31.12.1919 in einer Lehrerfamilie in Tiflis zur Welt und hat bis Mitte der 1930er-Jahre eine weitgehend glückliche, von Liebe und Zuneigung erfüllte Kindheit. Sie hat vier Brüder. Ihr Vater Gustav Pfeffer ist Direktor an einer deutschen Schule, die einen sehr guten Ruf besitzt und insbesondere von Kindern aus gebildeten Familien unterschiedlichster Nationalitäten besucht wird. Eine multinationale bzw. – linguale Umgebung prägt Nora ein Leben lang.

Nora, 5 Jahre alt, 2. von rechts (im weißen Kleid)

„Und ich sage wirklich, die Kindheit war so sorglos, so unbeschwert, so licht.”

Deutsche Siedlungen in der über lange Zeit zu Russland gehörenden Kaukasusregion gab es seit Beginn des 19. Jahrhunderts bis hin zum Überfall Nazideutschlands auf die Sowjetunion im Jahr 1941. Ortsnamen wie Elisabethtal, Alexanderdorf oder Marienfeld waren dort über einen Zeitraum von ca. 150 Jahren gang und gäbe. Die hauptsächlich von deutschen Kolonisten besiedelten Orte lagen in der Regel in der Nähe von größeren Städten, wie z. B. Georgiens Hauptstadt Tiflis (Tbilissi).
Einige deutsche Siedlerfamilien ließen sich jedoch aus verschiedenen Gründen in den Städten nieder und lebten dort über Generationen hinweg.

„Ende meiner wunderbaren Kindheit – 1935 […] Nachdem man meine Eltern abgeführt hatte, lief ich in den großen Schulhof (so früh war dort niemand) und schrie, und schrie […]”

1935

Anfang der 1930er-Jahre wird die Sowjetunion wiederholt von weitgreifenden Hungerkatastrophen mit zahlreichen Todesopfern heimgesucht. Das ist die unmittelbare Folge der massenhaften und überstürzten Kollektivierung der Landwirdschaft. Wie bereits in den 1920er-Jahren, d. h. zu Zeiten der ersten Hungerkatastrophen in Sowjetrussland, bekommen deutsche Vereinigungen und Organisationen Hilfe aus dem Ausland, in de Regel in Form von Hilfspaketen bzw. Lebensmittellieferungen. Diese werden an bedürftige Familien verteilt, wenn die Lieferungen nicht vorher von der Staatsmacht oder den lokalen Beamten als illegal deklariert und konfisziert worden sind. Aufgrund der Verbindungen zum kapitalistischen Westen sowie aufgrund der Hilfeannahme geraten geraten insbesondere die Sowjetdeutschen und mi tihnen auch die deutschen Immigranten unter Generalverdacht, mit den Feinden der Sowjetmacht zu kooperieren.

Politische Repressionen richten sich in dieser Zeit unter anderem verstärkt gegen Intellektuelle aller Nationalitäten. Stalin und seine treue Gefolgschaft glauben, auf diese Weise jegliche Planung einer Konterrevolution bzw. eines Staatsumsturzes im Keim zu ersticken. Mit dem Aufkommen des Faschismus in Deutschland verschlechtert sich die Situation für alle Deutschstämmigen in der UdSSR akut.

1934 versendet das Zentralkomitee der kommunistischen Partei in alle Teile des Landes eine Anordnung, die zum Kampf gegen vermeintliche Faschisten unter den Sowjetdeutschen auffordert. Noras Eltern werden Opfer dieser politischen Umwälzungen. Im Mai 1935 verhaftet der NKWD (das Kommissariat des Inneren) ihren Vater und ihre Mutter unter de mVorwand systemfeindlicher Aktivitäten.

14 Jahre alt

„Und in Tbilissi [Tiflis], wo ich geboren war und meine Jugend verlebte, da wurden also 99 Prozent der Intellektuellen verhaftet und unter ihnen natürlich auch sehr viele Deutsche.”

1936 – 1941

1936 nimmt Nora Pfeffer das Studium der Anglistik und Germanistik an der Pädagogischen Hochschule in Tiflis auf. Allerdings schon 1937, d. h. zu Zeiten des „Großen Terrors‘‘ im Land, wird sie zwangsexmatrikuliert, weil sie die Forderung der Hochschulleitung, sie solle sich von ihrem Vater lossagen, kategorisch ablehnt. Dieser ist inzwischen aufgrund angeblicher konterrevolutionärer Tätigkeit zur Lagerhaft verurteilt (insgesamt für 11 Jahre).

1939 heiratet Nora den Georgier Juri Karalaschwili, 1940 wird ihr einziges Kind, der Sohn Reso, geboren. Dem jungen Familienglück scheint nichts im Wege zu stehen. Doch der Ausbruch des deutsch-sowjetischen Krieges 1941 beendet rabiat die nächste kurze, glückliche Phase in Noras Leben. Juri wird in die Rote Armee einberufen und an die Front abkommandiert.

Am 28. August 1941 fasst das Politbüro der UdSSR mit Josef Stalin an der Spitze den Beschluss, die erst 1924 (noch von Lenin genehmigte) offiziell gegründete Republik der Wolgadeutschen aufzulösen. Dieser Beschluss hat nur wenige Wochen darauf die Vertreibungen und Deportation der Mehrheit im westeuropäischen Teil des Landes lebenden Deutschen nach Sibirien und Kasachstan zu Folge. Auch die Deutschen in Georgien bleiben von diesem tragischen Schicksal nicht verschont.

Nora Pfeffer genießt jedoch im Vergleich zu anderen Deutschen einen Sonderstatus. Als Frau eines Georgiers darf sie vorerst in Tiflis bleiben.

„Hart sind meine Gedichte, / und vielleicht sind sie einfach nur / Prosa, / denn wovon sie berichten / war durchaus keine Lyrik / in Rosa / (…) denn des Menschentums / größter Verräter /ließ vernichten, / vernichten, vernichten, / uns und unsere / Mütter und Väter. / Grau sind meine Gedichte / wie im Lager / Das Stöhnen und Sterben / und ergraute Gesicht / und seither ist mein Herz / voller Kerben …“

Reso, Noras dreijähriger Sohn während ihrer Verhaftung:
„Mutti, wohin gehst du?“

Nora P.: „Einen Weihnachtsbaum für dich holen, Liebling.“
(Sie bedeckt ihn mit Abschiedsküssen und sieht ihn in den nächsten fast 13 Jahren nicht wieder)

Geheimdienst-Mitarbeiter: „Was für ein süßes Kind!“

1943

1943, mitten im Krieg, sind sämtliche deutschen Siedlungen in Georgien längst aufgelöst, die Menschen für immer vertrieben. Jegliche Entschädigung für ihr verlorenes Hab und Gut werden seitens des Sowjetstaates, trotz wiederholter schriftlicher Beteuerungen und Versprechen, ausbleiben. Noras deutsche Verwandtschaft befindet sich im klirrend kalten Norden Kasachstans und leidet dort unter Strapazen des Neubeginns sowie unter der landesweiten Hetze gegen die Deutschen. Aus unerklärlichen Gründen vermag die Sowjetführung bei ihrer Propaganda wischen „„ihren’’ und den unmittelbar gegen das Land kämpfenden Hitler-Soldaten nicht zu unterscheiden. Losungen und Aufrufe wie etwa „Bring jeden Tag einen Deutschen um’’ sind während des „Großen Vaterländischen Krieges’’ in Sowjetrussland weit verbreitet. Das erschwert den Neubeginn für die deutsche Bevölkerung in Sibirien und Kasachstan sehr.

Am 9. November 1943 wird Nora Pfeffer ebenfalls aufgrund fadenscheiniger, politisch motivierter Gründe verhaftet und kommt zunächst für acht Monate in Untersuchungshaft. Es folgen Einzelhaft, grausame, entwürdigende Verhöre mitten in der Nacht. Schlussendlich der Urteilsspruch nach § 58: 10 Jahre Freiheitsentzug mit anschließender Verbannung und Beschlagnahmung des gesamten Eigentums, verschiedene Gefängnisstationen und GULAG (konkret SibLag und NorilLag). Mitten in dieser Zeit der Entbehrungen und unwürdigen Schwerstarbeit beim Holzschlag erhält Nora einen Brief von ihrem Ehemann Juri, in dem er sich von ihr lossagt bzw. die Trennung verkündet. Noch im Lager beginnt sie (angeregt von einem Literaten und Mitinsassen) Gedichte zu schreiben.

„Hart sind meine Gedichte, / und vielleicht sind sie einfach nur / Prosa, / denn wovon sie berichten / war durchaus keine Lyrik / in Rosa / (…) denn des Menschentums / größter Verräter /ließ vernichten, / vernichten, vernichten, / uns und unsere / Mütter und Väter. / Grau sind meine Gedichte / wie im Lager / Das Stöhnen und Sterben / und ergraute Gesicht / und seither ist mein Herz / voller Kerben …“

Die Balade vom Besen

Woher konntet ihr wissen,
Hirsehalme,
was eure Bestimmung war,
als am silbernen Bach
der grüne Wind
euch umschmeichelte?

Woher konntet ihr wissen,
Hirsehalme,
was eure Bestimmung war,
als man euch
zum goldgelben Besen
zusammenband?

Und woher konntest du wissen,
Besen,
was deine Bestimmung war
in der grauen Trostlosigkeit
der finsteren Zelle? […]

Und du sahest, Besen,
wie das Sonnengold ihres Haares
seinen Glanz verlor
und das Meeresblau
ihrer Augen
vergraute

Und einmal hörtest du
ihre zerrissenen Lippen flüstern:
„Ich bring dir das Tannenbäumchen,
mein Kind,
ich hab’s dir versprochen,
mein Kind!” […]

1950er

Es vergehen noch zwei Jahre nach dem Tod von Josef Stalin 1953, bis sich die neue Sowjetregierung unter Führung von Nikita Chruschtschow einsichtig zeigt und beschließt, die strenge Kommandanturaufsicht in den Verbannungsgebieten der Sowjetdeutschen aufzuheben und ihnen eine relative Reisefreiheit innerhalb des Landes zu gewähren. Die Rückkehr in ihre vor dem Zweiten Weltkrieg bewohnten Heimatorte und Häuser wird ihnen hingegen strengstens untersagt. Wie bei keiner anderen Minderheit des Sowjetlandes bleiben ihre bürgerlichen Rechte bis Mitte der 1950er-Jahre stark beschnitten. Eine offizielle, halbherzige (Teil-)Rehabilitierung der Sowjetdeutschen erfolgt erst 1964 nach einem Beschluss des Zentralen Politbüros in Moskau.

„Kasachstan! Du Land der steilen Höhen!
Kasachstan! Du Land der stillen Seen!
Wer dich liebt, dem wachsen Adlerschwingen […]“

Nach der Lagerhaft kommt Nora Pfeffer nach Kasachstan und verrichtet zunächst einfache landwirtschaftliche Arbeiten in einer Kolchose. Ihren Beruf als Lehrerin darf sie nicht ausüben, zumal ihr Diplom nach der Beschlagnahmung des Eigentums in Tiflis verloren gegangen ist. Erst 1955 darf sie ihren Sohn Reso wiedersehen. Bei der Begegnung mit ihm nach so langer Zeit fällt sie in Ohnmacht.

Sie beginnt in dieser Zeit ein zweites Studium, knüpft neue Kontakte zu Intellektuellen und der Redaktion der deutschsprachigen Zeitung „„Freundschaft’’ in Alma-Ata und wird u. a. als Übersetzerin engagiert. Erste literarische Beiträge von ihr erscheinen.

Redaktion "Freundschaft"

„Warum habe ich eigentlich begonnen, Kinderbücher zu schreiben? (…) Das war, wissen Sie, eine Sühne für meine schuldlose Schuld vor meinem Sohn, der eine mutterlose Kindheit hatte. Und außerdem hatte ich eine wunderschöne, wolkenlose Kindheit, also bis 15 Jahre, und ich bin mit deutschen Kinderbüchern aufgewachsen (…) Und außerdem wollte ich, dass unsere Sprache nicht verlorengeht, und da muss man doch mit den Kleinen beginnen.“

1960/70er

In den 1960er- und 1970-Jahren schlagen die Sowjetdeutschen allmählich Wurzeln in ihren neuen Wohnorten. Viele hegen die leise Hoffnung, irgendwann doch in ihre Heimatorte zurückkehren zu dürfen, oder dass sie für den vollständigen Verlust des Eigentums auf irgendeine Weise entschädigt würden. Die folgenschwere Verstreuung übers ganze Land, das Fehlen von  deutschsprachigen Bildungseinrichtungen und Kulturinstitutionen führen zum raschen Verlust der deutschen Sprache und Identität in der nachgeborenen Generation.

Nach dem Studium (teils Fernstudium in Moskau) unterrichtet Nora Pfeffer an der Universität in Alma-Ata und arbeitet  nebenberuflich als Sprecherin für den deutschen Sender des Kasachischen Rundfunks. Ihre Lyrik und Übersetzungen erscheinen regelmäßig in der deutschsprachigen Presse sowie in zahlreichen Sammelbänden sowjetdeutscher Autorinnen und Autoren. Die große Popularität erlangt sie vor allem als Kinderbuchautorin. In den 1970ern erlebt Pfeffer ihren literarischen Durchbruch. 1974 wird sie in den Schriftstellerverband der UdSSR aufgenommen, ihre Kinderbücher werden in beachtlichen Auflagen gedruckt. Und zwar auf Deutsch im Verlag Kasachstan. Ihre Texte werden von dem renommierten Komponisten Oskar Geilfuß vertont.

1980er

In den 1980er-Jahren feiert Nora Pfeffer weitere literarische Erfolge. 1981 erhält sie vom Sowjetischen Schriftstellerverband den begehrten DulatowLiteraturpreis. Ihre Lyrik, Prosa, Essays, Rezensionen etc. werden in diversen Anthologien und deutschsprachigen Zeitungen publiziert. Sie nimmt rege an Autorenseminaren der deutschen Sektion des Sowjetischen Schriftstellerverbandsteil und ist ein gern gesehener Gast bei Autorenlesungen. Jahre später vertont Komponist Eduard Schmidt Gedichte aus ihrem Buch „„Goldkäfer’’ (Moskau 1993).

„Es liegt mir nicht, in Liedern und Gedichten abstrakt und nüchtern zu philosophieren. Sie würden sicher hohl klingen und nichtig und jeden Reiz des Fraulichen verlieren. Lass weinen mich in meinen Versen, lachen, mit zarten Blütenzweigen dich umarmen, Gefühle singen, die in mir erwachen, der Güte und des menschlichen Erbarmens […]“

Die Gorbatschow-Ära und das damit einhergehende politische Tauwetter (Perestroika, Glasnost etc.) wecken bei den Sowjet- bzw. Russlanddeutschen Hoffnungen auf vollständige Rehabilitierung und Wiedergutmachung im Hinblick auf die vor mehr als vierzig Jahren eingebüßtentraditionellen Siedlungsgebiete, die Wiederherstellung der unrechtmäßig aufgelösten Autonomen Republik der Wolgadeutschen und somit die „„Wiedergeburt’’ ihrer national-kulturellen Identität. Doch ihre Erwartungen werden von der Sowjetregierung nicht erfüllt, was Tausende russlanddeutsche Familien schließlich zur Ausreise nach Deutschland bewegt.

Bereits im Ruhestandfolgt Nora Pfeffer einer Einladung nach Moskau und leitet ab 1988 bis zu ihrer Emigration nach Deutschland 1992 die Literaturabteilung der Moskauer deutschsprachigen Wochenschrift „„Neues Leben’’. Zwischenzeitlich ereilt sie der nächste furchtbare Schicksalsschlag:
Ihr einziger Sohn, Reso Karalaschwilli (Prof. Dr. Dr. habil., Lehrstuhlinhaber für Germanistik an der Universität in Tiflis), stirbt auf einer Konferenz in Weimar 1989 an den Folgen eines plötzlichen Herzstillstand.

„Wie Poesie / die unterdrückt war lange Zeit / und endlich doch / sich ihrem dumpfen Schmerz / entrang, / aus einer Dichterseele strömt, / erlöst, / befreit, / als zarter Blumenduft, / als lieblicher Gesang.“
aus: „Mimosen“, Lyrikband „Zeit der Liebe“

1990er

Nachdem fast 3 Millionen Russlanddeutsche (unter ihnen auch frühere Autorenkolleginnen und -kollegen sowie die Brüder von Nora) dem Sowjetstaat aufgrund zahlreicher enttäuschter Hoffnungen den Rücken gekehrt haben, siedelt Nora Pfeffer ebenfalls nach Deutschland über und lebt biszu ihrem Tod im Jahre 2012 in Köln. Selbst in ihrem hohen Alter wird sie nicht müde, viel zu schreiben und sich aktiv vor allem für die junge Generation von russlanddeutschen Autorinnen und Autoren einzusetzen. Ihre Bücher erscheinen in verschiedenen Ländern und Sprachen,teilweise in Großauflagen von bis zu mehreren Tausend Exemplaren. 1994 bekommt sie eine Einladung, dem Verband deutscher Schriftsteller beizutreten. 1995 wird sie Mitbegründerin des Literaturkreises der Deutschen aus Russland e. V. und bringt hoch motiviert jungen Autorinnen und Autoren das Einmaleins des Dichtens bei. Trotz desmühsamen Neubeginns in Deutschland gilt sie bald als erfolgreiche und aktive Vermittlerin der russlanddeutschen Kultur und Geschichte sowie als wichtige Zeitzeugin. 1998 erscheint in Russland ihr viel beachteter, zweisprachiger Lyrikband „Zeit der Liebe’’. In Deutschland werden in den Folgejahren diverse Kinderbücher verlegt.

„„Eigentlich ist der Titel des Buches „Zeit der Liebe“ vielschichtig. Hier klingt das ewige Thema der Weltlitertur an – die Gefühle des Herzens und die Nächstenliebe, die auch ein Merkmal der Liebe zu Gott sind und das Streben nach ihm. Was nicht das tragische Sinnen über das Menschenschicksale aufhebt. In den Gedichten von Nora Pfeffer findet man Antworten der höheren Weisheit, hinter der scheinbaren Einfachheit ihrer Gedichte – philosophisches Nachdenken über die ‚wunderbare Welt‘, über die ewige, lebendige und konstante Wahrheit, die den Menschen zum Liebenden und dem Geliebten macht.“

Prof. Dr. Oleg Kling

— 2021

„„Eine starke Frau mit vielen Facetten, einer beeindruckenden Biografie und einem bewegenden Schicksal. Mit ihren Werken gehört Nora Pfeffer unumstritten zu den wichtigsten russlanddeutschen und Autorinnen der Nachkriegszeit …“

Agnes Gossen

Meine Heimat

Meine Heimat –
die glyzinienumrankte Veranda,
die süße Birne,
dertote Spatz,
den wir im Garten begruben […]

Meine Heimat –
vor allem mein Sohn,
an dem ich schuldlos
in ewiger Schuld verbleibe
für seine mutterlose Kindheit […]

Meine Heimat –
auch jene Russin,
die mir die Kartoffeln zusteckte,
als ich dem Skorbut
beinahe schon erlegen war.

Meine Heimat –
jene Deutsche, die mich lehrte,
Fröhlichkeit sei keine Flucht
vor der Traurigkeit,
sondern der Sieg über sie.

Meine Heimat –
Freunde, die mir beistanden
in hoher Not
und mir neidlos gönnen
meine untilgbare Daseinsfreude …

Nora Pfeffer an ihren 90. Geburtstag am 31. Dezember 2010 (auf dem Bild an der Wand ihr 1989 verstorbener Sohn Reso)

„„Nora Pfeffer war unter den russlanddeutschen Autorinnen zweifelsohne die schillerndste und bedeutendste, aber auch erfolgreichste. Ich hatte das Glück, sie persönlich kennenzulernen […] Selbst der russlanddeutsche ‚Literaturpapst‘ Johann Warkentin hatte vor ihr großen Respekt […] Trotz ihres unmenschlich harten und tragischen Schicksals war sie im Umgang mit Menschen sehr weichherzig und rücksichtsvoll. Bekannt als feinfühlige Kinderbuchautorin, tiefsinnige Lyrikerin und erfolgreiche Nachdichterin. Trotz harter Schicksalsschläge war sie nicht vergrämt und verbittert. Eine Vielzahl ihrer lieterarischen Werke wurden in Dutzenden von Sammel- und Einzelbänden veröffentlicht.“

Wendelin Mangold